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Human Rights Film Festival 2024

von Michael Bohli und Conny Hüsser • 09.04.2024

Dieses Jahr kehrte das Human Rights Film Festival nach Zürich und ins Kino Riffraff zurück. Wir haben uns trotz sommerlicher Temperaturen den Filmen gewidmet.

Fast eineinhalb Jahre mussten wir uns gedulden, bis das Human Rights Film Festival wieder nach Zürich zurückkehrte. Das abrupte Ende des Kosmos riss eine Wunde in die Veranstaltung, mit dem Human Rights Day 2023 wurde diese im Riffraff geschlossen.

An diesem tollen Kinostandort fand die neunte Ausgabe des HRFF statt und lieferte ein vielseitiges Film- und Rahmenprogramm, um sich bewusst mit aktuellen Krisen auseinanderzusetzen. Ein Festival für mehr Diskurs, Verständnis und Mut, den sommerlichen Temperaturen und der Ohnmacht gegenüber Ungerechtigkeit trotzend.




Twice Colonized
Lin Alluan • Dänemark, Grönland, Kanada 2023 • Dokumentation

Im Mittelpunkt der Dokumentation «Twice Colonized» steht die Anwältin und Aktivistin Aaju Peter. Geboren in Grönland, wurde sie als Kind nach Dänemark geschickt und verlor Muttersprache und Kultur. Als sie als Erwachsene in die kanadische Arktis ging, erfuhr sie dort eine weitere Form der Kolonialisierung – und kämpft heute dafür, dass die Stimme der indigenen Völker gehört wird.

Der Film der dänischen Regisseurin Lin Alluna ist ein intimes Porträt, das über einen Zeitraum von fünf Jahren entstanden ist. Sie begleitete persönliche Hoch- und Tiefpunkte in Aaju Peters Leben. Mehr Einblicke in ihre unermüdliche Arbeit wären schön gewesen; ein wirklicher Fokus fehlt. Ein Glück, ist die Protagonistin eine spannende Persönlichkeit, der man auch so einfach gerne zuhört.




Lobo E Cão
Cláudia Varejão • Portugal 2022 • Spielfilm

Was für viele das Urlaubsparadies schlechthin ist, ist ein Ort ohne Zukunft für die dort aufwachsende Jugend: das Azoren-Archipel inmitten des Atlantiks. Der Alltag ist geprägt vom Katholizismus und fest zementierten Rollenbildern. Die Freunde Ana und Luis finden Zuflucht in der queeren Gemeinschaft. Sie loten Grenzen aus und suchen nach einem Weg, Wünsche und Tradition in Einklang zu bringen.

«Lobo E Cão» ist ein leiser und beobachtender Film, der die Handlung auf ein Minimum reduziert. Vielmehr werden Stimmungen transportiert und der Alltag auf den Inseln eingefangen. Es ist schlicht faszinierend anzusehen, wie eine schillernde Gruppe junger Menschen innerhalb einer Prozession Raum für sich beansprucht. Ein sehnsüchtiges, melancholisches und wunderbar gefilmtes Stück Kino.




Etilaat Roz
Abbas Rezaie • Afghanistan 2022 • Dokumentation

«Etilaat Roz» bewies, wie wichtig es sein kann, wenn ein Mensch Ereignisse mit der Kamera begleitet. Die emotional eindringliche und angespannte Doku von Abbas Rezaie zeigt den Alltag der namensgebenden Zeitung während des Fall Kabuls im Jahr 2021.

Die brutale Eroberung liegt bereits einige Jahre zurück und Afghanistan ist aus unseren Medien verschwunden; die Dokumentation rückt das Land und die aktuellen Schrecken wieder in den Fokus. Ohne Klischees und roh zeigt der Film die Tage voller Furcht, während die Reporter versuchen, weiterhin News zu produzieren, ohne ihr Leben zu verlieren.




Echo Of You
Zara Zerny • Dänemark 2023 • Dokumentation

Denkst du oft ans älterwerden? Menschen im Pensionsalter werden in unserer Gesellschaft meist an den Rand gedrängt, die Dokumentation «Echo Of You» zeigt, dass dies falsch ist. Die erste lange Filmarbeit von Zara Zerny entstand aus Gesprächen mit dänischen Personen im hohen Alter und liefert wunderbare Momente und Erkenntnisse.

Offen werden Themen wie Trauer, Verlust, Liebe und Sex angesprochen, die Frauen und Männer evaluieren ihr Leben, die Gesellschaft und ihre heutige Situation. Trauriges und Schönes wechselt sich ab, der Schnitt, die Musik und kreative Einlagen bringen Zauber in den Film. Älter werden ist nicht schlimm, das wird bei der Sichtung klar.




My Worst Enemy
Mehran Tamadon • Frankreich, Schweiz 2023 • Dokumentation

Was muss passieren, dass Menschen foltern? Der iranische Regisseur Mehran Tamadon geht dieser Frage in seiner Dokumentation «My Worst Enemy» mit einem Selbstversuch nach und stellte in Frankreich mit iranischen Flüchtlingen erlebte Verhöre nach.

Die Auswirkung der Gewalt auf das Gewissen der Beteiligten steht im Vordergrund, allerdings wirkt der Film zäh, ästhetisch karg und erreicht erst in den letzten Minuten, nach der Beendigung des missglückten Versuchs, eine kritische Metaebene. Nebst der grossen Leistung von Zar Amir Ebrahimi («Holy Spider», 2022) blieb die Erfahrung unbefriedigend.




Under The Sky Of Damascus
Heba Khaled, Talal Derki, Ali Wajeeh • Dänemark, Deutschland, USA, Syrien 2023 • Dokumentation

Der Alltag für Frauen in Syrien ist nach dem Krieg von Unterdrückung und Gewalt geprägt. Sie werden belästigt, missbraucht und nicht selten pathologisiert. Angezeigt werden Übergriffe kaum – zu stark ist die Misogynie in der Gesellschaft verankert. In Damaskus recherchiert eine Gruppe junger Schauspielerinnen nach wahren Geschichten, die sie zu einem Theaterstück zusammenführen wollen. Erwartungsgemäss stossen sie auf Widerstand – doch erst mit einem internen Konflikt droht das Projekt zu scheitern.

Der Film thematisiert den Kampf der Frauen im heutigen Syrien. Regie wurde jedoch aus dem Berliner Exil geführt – und genau das begünstigte das Eintreten des Worst Case Scenarios. Leider bleibt der Film genau an dieser Stelle zu unreflektiert und zeigt sich wenig selbstkritisch. Zurück bleibt ein unschönes, frustriertes Gefühl.




Queendom
Agniia Galdanova • USA, Frankreich 2023 • Dokumentation

Egal, was in «Queendom» alles an schlimmen Ereignissen gezeigt wird, der Film von Agniia Galdanova macht trotzdem Mut. Die Hoffnung, dass es immer Menschen geben wird, die sich trotz grosser Gefahr Ungerechtigkeiten entgegenstellen – so, wie es Gena Marvin seit Jahren tut – wird bestärkt. Zuerst in Russland, heute in Frankreich als Drag Queen und treibende Kraft für Gleichheit aktiv.

Schön, bietet die Doku der Kunst von Gena genügend Raum, mit wuchtigen Songs und beeindruckenden Aufnahmen darf mensch an den Kostümen und Aktionen teilnehmen. Noch eindringlicher ist Genas Mut, sich im queerfeindlichen Russland offensiv zu positionieren. Wie schön die Welt doch wäre, wenn wir uns alle von heteronormativen, binären Denkweisen lösen könnten. «Queendom» zeigt, wieso das wichtig ist.




Wir waren Kumpel
Christian Johannes Koch, Jonas Matauschek • Schweiz, Deutschland 2023 • Dokumentation

Ein leichtfüssiger Festivalabschluss für uns: «Wir waren Kumpel» erzählt als Deutsch-Schweizer-Koproduktion von ehemaligen Mitarbeiter:innen einer Kohlemine in Deutschland. Mit viel Witz und gelungenen Bildern begleiteten Christian Johannes Koch und Jonas Matauschek die Personen an ihren letzten Arbeitstagen und dem Leben danach.

Das Privatleben und die eigene Stellung in der Gesellschaft werden von den Bergleuten analysiert, ehemalige Gewohnheiten müssen aufgebrochen und neue Situationen verkraftet werden. Die Dokumentation erlaubt das in direkten Gesprächen und feinfühligen Momenten. Der Film ist zugleich ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit in der Transformation der Industrie und Wirtschaft.


Dokumentarische Wahrheiten konnten 2023 auch am Bildrausch Filmfest Basel entdeckt werden.

Human Rights Film Festival Zürich

Ort:
Riffraff, Zürich

Datum:
04. bis 10. April 2024

Website:
humanrightsfilmfestival.ch

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