thumbnail

Stream: Eine Auswahl Ungesehenes

von Michael Bohli • 13.07.2023

Zehn feministische Filmemacher:innen sprachen mit Bernadette Kolonko über «Unsichtbares und Ungesagtes»; wir besprechen eine Auswahl von Filmen dieser Regisseurinnen.

Die Zeit ist gekommen, sich mit mehr als bloss den üblichen Hollywood-Erzeugnissen zu beschäftigen. Der männlich geleitete Blick auf Menschen und Schicksale ist abzuwenden, die Perspektive zu erneuern. Frauen und feministischen Filmemacher:innen muss mehr Platz eingeräumt werden, selten verfilmte Themen gehören ins Rampenlicht.

Mit dem Buch «Unsichtbares und Ungesagtes» bietet Bernadette Kolonko anhand zehn Gesprächen einen faszinierenden Einstieg. Wir haben einige Regiearbeiten der Gesprächspartner:innen angeschaut und für euch als ersten Überblick zusammengestellt.


Susanne Heinrich




Das melancholische Mädchen · Deutschland 2019

Essay, Komik und überzeichnete Kritik in einem: «Das melancholische Mädchen» ist weniger ein Spielfilm, sondern eine Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in der heutigen Gesellschaft, die Liebe im Fokus der einzelnen Episoden.

Das Debütwerk von Susanne Heinrich überzeugt durch die präzise gestaltete Ausstattung, die bissigen Kommentare und den Mut, Konventionen der Filmschule aufzubrechen. Dazu ist Marie Rathscheck in der Hauptrolle perfekt besetzt und die animierten Momente sorgen für Abwechslung.


Laura Bispuri




Figlia Mia · Schweiz, Deutschland, Italien 2018

Mutterschaft und familiäre Bindungen sind die thematischen Grundlagen für «Figlia mia» von Laura Bispuri. Die Regisseurin behandelt all dies allerdings fernab der klischierten Sichtweisen, die uns Hollywood immer aufzwängt.

Das Dreieck zwischen zwei Frauen und einer Tochter wird emotional tiefgründig dargestellt, der Film verzaubert mit wunderbaren Bildern und einem angenehmen Rhythmus. Zugleich wird die binäre Vorstellung von Zuneigung und Zugehörigkeit auf berührende Weise aufgesprengt.


Kamila Andini




Yuni · Indonesien 2021

Kamila Andini erzählt in «Yuni» eine harte und reale Geschichte, die sich in vielen Ländern auf der Welt leider täglich so ähnlich abspielt. Junge Frauen werden zwangsverheiratet, ihre Zukunft von der Familie und dem alten, unterdrückenden Normensystem bestimmt.

Gut gespielt, mit schönen Farben gefilmt und immer nahe bei den Figuren ist «Yuni» ein Werk aus Indonesien, das berührt und nachdenklich macht.




Before, Then & Now (Nana) · Indonesien 2022

Mit dem Film «Yuni» (2021) bewies Regisseurin Kamila Andini, dass sie zu wundervoll gefilmten und empathischen Erzählungen fähig ist, die sich vor der realistischen Härte nicht scheuen. Mit «Before, Now & Then» geht sie einen Schritt weiter und zeigt uns eine Liebesgeschichte, die dem Slow Cinema zugeordnet werden kann.

Bedächtige Aufnahmen, wunderbar aufgebaute Bilder, schöne Farben und Schauspielerinnen, die in der Rolle aufgehen. Das ist stellenweise etwas zu schwebend, überzeugt aber technisch und inhaltlich, ohne schematische Formen anzunehmen.


Valérie Massadian




Nana · Frankreich 2011

Aus Kindersicht betrachtet, ist vieles an unserer Welt magisch und verzaubernd. Sogar ein familiäres Trauma kann mit Spiel und Vorstellungskraft überwunden werden. «Nana» erzählt von einem solchen Schicksal, feinfühlig von Valérie Massadian inszeniert.

Die Kamera bleibt auf Augenhöhe, die Einstellungen sind beobachtend, die Perspektive des Mädchens wird fassbar. Ein kleiner Film, der unseren Blick neu ausrichtet und eine Stimme zulässt, die oft übergangen wird.


Teona Strugar Mitevska




God Exists, Her Name Is Petrunya · Nordmazedonien 2019

Was in der patriarchalen Welt als Richtig und Gesetzgebung funktioniert, das ist gottgewollt. Wenn sich Menschen gegen diese Ordnung auflehnen, ist das Ketzerei. In «God Exists, Her Name Is Petrunya» wird der Widerstand gegen die Ungleichheit am Beispiel eines kirchlichen Rituals gezeigt.

Der Spielfilm von Teona Strugar Mitevska ist energiereich, voller bitterböser Kommentare auf die vorherrschenden Mächte in Nordmazedonien und humorvoll. Dass die Hauptperson etwa keinesfalls eine Revolution im Sinn hatte, macht die Geschichte umso spritziger; Spiel, Kamera und Musik machen die Satire stets sehenswert.




The Happiest Man in the World · Nordmazedonien, Bosnien und Herzegowina 2022

Eine ausführliche Kritik zum Film ist bei uns hier nachzulesen.


Maryam Touzani




Adam · Marokko 2018

Mit ihrem Spielfilm «Adam» zeigt uns Maryam Touzani eine neue Sicht auf Marokko, die der Frauen. Getragen von den zwei Hauptdarstellerinnen Lubna Azabal und Nisrin Erradi wird ein intimer Blick auf die Rollen der Frau und deren Platz in der Gesellschaft ermöglich.

Geschickt wechselt die Perspektiven in den Szenen, wunderbar warm sind die Bilder. Leckere Backwaren und ehrliche Emotionen finden zusammen während Mutterschaft und zwischenmenschliche Beziehungen realistisch dargestellt werden. Und das, ohne am Ende die üblichen Klischees bedienen zu müssen.

Touzanis neuster Spielfilm «Le bleu du caftan» ist ab dem 13. Juli bei Filmingo streambar.


Katharina Wyss




Sarah joue un loup-garou · Schweiz 2017

Theater als Ventil, als genutzte Projektionsfläche: In «Sarah joue un loup-garou» werden sexuelle Misshandlungen auf neue Weise thematisiert und die emotionale Ausweglosigkeit von Teenagern spürbar gemacht.

Der Film von Katharina Wyss bleibt stellenweise rätselhaft und spielt mit mehreren Ebenen, was am Ende sehr gut funktioniert. Die Inszenierung und die Besetzung mit gern gesehenen Personen wie Annina Walt und Sabine Timoteo sind gleichermassen gelungen.